Simple Wahrheit – “teuer” erkauft

Simple Wahrheit – “teuer” erkauft

Wie eine sauteure, seit 3 Jahren hier rumliegende Wolle, das Glaubensmuster „kann ich nicht, weil alle sagen, das ist kompliziert“ und eine Sprengung des Youtube-Algorithmus den Durchbruch einer simplen Wahrheit brachte und warum ich grad einen Mantel stricke, den ich nicht stricken kann – davon möchte ich euch heute erzählen.

Aber von vorne.

Sinnfindung auf Youtube

Nein nein, keine Angst, es geht nicht um das große Ganze, wir machen hier keinen Weltverbesserungsblog draus. Es geht um den kleinen Ego-Kosmos – aber darum geht es doch eigentlich immer, oder?

Was ich sagen möchte, ist Folgendes: wenn ich mich in einer Phase wie der Aktuellen befinde, brauch ich “neues Wissen” als “Futter”. Diese Übergangsphasen zwischen einem abgeschlossenen Projekt und dem Beginn eines neuen kenne ich ziemlich gut, sie sind gepflastert mit Informations-Fressorgien. Bedeutet, ich wühle mich wie so ein Trüffelschwein durch Bücher und durchs Internet, notfalls auch Netflix und Dokos im Fernsehen. Die Wahl des “Koches” ist mir ziemlich egal, Hauptsache viel und abwechslungsreich. Da ich ja im Gegensatz zum oben genannten Schwein nicht weiß, WAS ich suche, darf ich nicht wählerisch sein.

Man kann sich das so als Info-Hopping vorstellen, ich sehe etwas, das mich anspricht, schnuppere rein und lass mich dann treiben. Gerade im Internet ist das ziemlich praktisch, weil man ständig passende (oder auch unpassende) Vorschläge bekommt, was einen noch interessieren könnte. Funktioniert aber auch mit Büchern, auch dort gibt es meist Querverweise.

Nun hab ich Youtube und Google an den Rand des Wahnsinns getrieben, weil die Themenvielfalt diesmal ziemlich breit gefächert ist. Die wussten schon gar nicht mehr, was sie mir als Nächstes vorschlagen sollten. Der Vorteil dabei: ich bekam Videos und Webseiten vorgeschlagen, die ich so niemals zu Gesicht bekommen hätte.

Wenn ich jetzt, in diesem Moment, meinen YT-Account auf der Startseite öffne, wird mir folgendes vorgeschlagen:

  • Onkel und Nichte mit Drillingen
  • Geben ist der größte Weg zum Glück
  • Zehn Fragen an einen Ex-Na** (ich möchte das Wort hier nicht mal herschreiben)
  • Lügner entlarven
  • Teebeutelmuster im Handumdrehen fürs Junkjournal
  • Der Weg zum Capsule Wardrobe (da kann ich nicht mal den Namen aussprechen)
  • Wie denkt der Millionär?
  • Deine Dualseele ist tot
  • Ordnung im Leben
  • Teeadventkalender basteln
  • Depression verstehen
  • Mein Tiny-House
  • Genie am Gehirn
  • ….

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, aber das tut nichts zur Sache. Ich suche also gerade. Das ist mal nichts Neues, das tu ich öfter. Wie eine Schlange (heut hab ichs mit den Viechern) häute ich mich von Zeit zu Zeit und komm dann mit neuem “Outfit” wieder. Ich erfinde mich gerne neu, ich finde das spannend.

Und wenn ich suche und mich on- und offline mit Informationen und Wissen füttere, streiche ich gerne auch wie ein unruhiger Tiger durchs Haus und gucke. Was fällt mir ins Auge, was übersehe ich normalerweise – weil es halt immer schon da ist? Was stört mich?

Das ist momentan ja ziemlich einfach (wenn wir mal den Keller außen vor lassen, der ist auch einfach – einfach eine Katastrophe), weil ja alles renoviert und schön aufgeräumt ist. Es gibt also nicht viel zu gucken, was a) immer schon da stand und b) stören könnte.

So saß ich vor wenigen Tagen abends mal wieder auf der Couch und dachte nach, während ich an einem Weihnachtsgeschenk handarbeitete. Das ist ziemlich eintönig, weil ich bei dieser Handarbeit zwar konzentriert sein muss, aber nicht denken brauch und weil auch in meinen Gedanken nicht viel Neues passiert. Und aus irgendeinem Grund fiel mir MEIN Mantel wieder ein..

Ein Wintermantel mit Hindernissen

Um das zu verstehen, muss ich ein wenig ausholen.

Vor Jahren habe ich im Internet einen Mantel gesehen, in den ich mich schockverliebte. Grau, lang, gestrickt. Ich habe ewig nach der Anleitung recherchiert und dann gab es dieses Buch nirgends zu kaufen. Irgendwann hatte ich Glück und hab ein Exemplar ergattert. Das Buch ist auf Englisch, das gab den ersten Dämpfer.

Nun lag hier also das Buch – und der fertige Mantel war genauso weit entfernt wie zuvor. Ich brauchte u n b e d i n g t die Originalwolle dazu, weil wenn ich diesen knöchellangen Mantel schon strickte, dann bitte genau so wie am Foto.

Es dauerte nochmal einige Monate, bis ich herausgefunden hatte um welche Wolle es sich handelt und wo die zu beziehen sei. In Norwegen… in einem Onlineshop, in dem ich kein Wort verstand.

Wieder zog Zeit ins Land, in der ich manchmal auf den Mantel vergaß und manchmal um die Anleitung herumschlich, sie aber nicht verstand. Google Übersetzer half nicht viel, der konnte mit den Fachbegriffen nichts anfangen. Ich auch nicht.

Beim nächsten “Ich will den aber haben”-Schub fand ich heraus, dass man für dieses Prachtstück knapp 4kg Wolle braucht – und wieder rutschte das Traumkleidungsstück in weite Ferne. Über 300€ würde das kosten. Und dann stellte sich die Frage ob ich ihn je fertigstellen würde.

Vor ca 3 Jahren fragte mich mein Mann, was ich mir denn so zu Ostern /Muttertag /etc wünschen würde. Ich erzählte ihm von dem Mantel und den Kosten und den Schwierigkeiten. Und offenbar leuchteten meine Augen dabei. Wenn das passierte, setzte Richi alle Hebel in Bewegung um mich glücklich zu machen. Um es kurz zu machen: ich durfte mir die Wolle bestellen. Und nun lag sie da.

Nach gut 2 Jahren hatte ich die Anleitung, die Wolle und den Wunsch, endlich loszulegen. Wenn ich bloß die Anleitung verstehen würde. Eine befreundete Handarbeiterin, des Englischen sehr gut mächtig, nahm sich das Buch zur Brust, brachte es mir wenige Tage wieder und meinte, das sei etwas kompliziert und sie müsse sich das in Ruhe ansehen. Sie hat sich nie wieder gemeldet.

Meine Tochter, ebenfalls ein kleines Englischgenie schaffte es zumindest, mir 2 deutsche Zettel zurückzugeben, in denen etwas von Kabeln, Spitzen, falschen Seiten und so kryptischen Dingen wie “K2tog. tlb zweimal” zu lesen war.
Ja, so hab ich auch geguckt.

Und dann lagen die Dinge da, andere Projekte waren wichtiger, einfacher, schneller umzusetzen. Manchmal ging ich am Regal vorbei und streichelte die Stränge. Manchmal nahm ich sogar 2-3 Knäuel mit in einen Urlaub, um dort vielleicht doch zu starten. Sie kamen jedesmal unberührt wieder heim. Man wünscht sich das bei seinen jungen Töchter, aber bei Wolle? Also ich weiß nicht…

Jetzt aber…

Beim Umräumen meines Handarbeitszimmers in den Keller hatte ich diese sauteuren Wollstränge wieder in der Hand, blätterte wieder durchs Buch und packte dann alles ins Kellerregal. Die Hoffnung, es doch noch in diesem Leben hinzukriegen, hatte ich längst aufgegeben.

Nun, eigentlich hatte ich diese Hoffnung in meinem vorigen Leben aufgegeben, in dem jetzigen aktuellen hab ich schon ganz andere Dinge gestemmt. Als mir diese Erkenntnis kam (so um 23:00 nachts), stapfte ich in den Keller, schnappte mir Wolle, Anleitung und Stricknadeln. Ich versuchte das Buch zu lesen, ich verglich es mit den Übersetzungen meiner Tochter, ich schaute mir die Skizzen an – und ICH HÄTTE MICH BLÖDE HAUEN KÖNNEN!

Da war nichts, aber auch gar nichts kompliziert oder unverständlich. Das Muster war als Strickschrift aufgezeichnet und die ist ziemlich international und damit selbsterklärend. Selbst der Schnitt des Mantels ist nur als fertiges Teil pompös – er wird in lauter schmalen Bahnen gestrickt. Also nichts, was ich nicht schon hundert Mal gemacht hatte. Die Wörter, die meine Tochter nicht “richtig” übersetzen konnte, ergaben im Kontext durchaus Sinn und waren für eine Strickerin sehr einfach einzuordnen.

DER KÖNNTE LÄNGST FERTIG SEIN

DIESE Erkenntnis war wie ein Schlag vor den Kopf. Hätte ich mich nicht so verunsichern lassen von “oh, das ist sehr kompliziert” oder “ich kann gut englisch, aber das ist schwer zu übersetzen”, sondern hätt ich einfach mal angefangen, ich könnte ihn längst tragen.

Das brachte mich zum Nachdenken: wieviele Dinge, Momente, Erlebnisse, Erfolge… hab ich schon verpasst, weil ich nicht auf meinen Wunsch, etwas zu machen / haben, hörte, sondern darauf, was mir als “Wahrheit” gezeigt wird. Und das muss nicht mal eine außenstehende Person sein, die dir sagt: “Das kannst du nicht, das ist schwierig, kompliziert.” Nein, das kann man super auch ganz alleine. Man glaubt an seine “Wahrheit”, die man sich lang genug eingeredet UND die man immer wieder für sich untermauert hat mit passenden Fallbeispielen, wieso etwas “grade” nicht möglich ist. Das Schlimmste ist: man VERSUCHT es nicht mal, weil man so überzeugt ist davon, sowieso zu scheitern.

Das ist nicht nur schlimm, das ist auch traurig. Ich weiß nicht, was ich alles zB in meiner Beziehung verpasst habe, das ich jetzt auch nicht mehr nachholen kann, weil ich der Überzeugung war, es nicht hinzukriegen. Oder mich nicht zu trauen. Oder es als zu kompliziert beiseite geschoben hatte.

Aber ich weiß etwas anderes. Immer, wenn in mir jetzt der Gedanke auftaucht “Das geht nicht, das ist zu kompliziert, das brauch ich gar nicht probieren” – dann, ja dann werde ich es erst recht versuchen.

Was hat das jetzt mit Youtube-Videos zu tun?

Nun, wie oben gesagt, ich bin in einer Umbruch-Phase. Ich suche eine Herausforderung, einen Weg, ein Ziel. Ich werde es erkennen, wenn ich es sehe. Bis dahin suche ich weiter. Ich recherchiere gezielt verschiedene Themen, dann lass ich mich wieder im Algorithmus treiben und guck, was da so kommt.

So bin ich auch auf ein Video einer Neo-Minimalistin gestoßen, die davon erzählte, was ihr die Umstellung gebracht hat. Das Video war jetzt nicht sooo spannend oder erhellend, allerdings fiel EIN Satz, den ich “brauchte” (ja, so ist das, ich schaue, was ICH davon brauchen kann und vergesse den Rest wieder). Ihr Ziel sei es, so erzählte sie, nach Hause zu kommen und das Gefühl zu haben, sie sei in einer Ferienwohnung und hätte keinerlei Arbeiten, die in der Wohnung noch zu tun seien.

Da machte es bei mir “Klick”. Ich wusste in dem Moment, dass sie absolut falsch lag (wenn man keine Aufgaben hat, werden auch Hobbys ziemlich fade – ich spreche aus Erfahrung) UND trotzdem genau das richtige Ziel hatte. Wieso?

Nie fühl ich mich wohler und freier und zufriedener als in meinem Wohnmobil. Dort ist alles überschaubar, dort hab ich trotzdem alles, was ich brauche, dort muss ich nichts tun außer morgens 10min aufzuräumen. Oder ne halbe Stunde, aber ist ja egal.

Was nun also? Haus verkaufen und ins Wohnmobil ziehen? Quatsch, mein Häuschen geb ich nicht her, wenn ich nicht muss. Wozu auch?
Die Hütte komplett räumen und minimalistisch leben? Ebenso Blödsinn, ich liebe meinen Kram ja. Und am liebsten sortier ich ihn, räum ihn herum, optimiere die Ordnungssysteme, betatsche ihn.

Aber dieses Gefühl, dieses Urlaubsfeeling, das hätte ich schon auch gerne. Und dann fiel mir auf, dass ich das in einigen Bereichen des Hauses schon hab. Die fertig renovierten, dank #Flylady auf einem sehr guten Sauberkeitslevel gehaltenen Räume, die kaum mehr Arbeit verursachen, die geben mir dieses Gefühl schon. Der Weg ist also nicht so falsch.

Und dann bemerkte, dass ich zwar im WoMo räumlich und gegenstände-mässig eingeschränkt bin, es dort aber eigentlich auch bummvoll ist. Was reinpasst, wird reingestopft. Umgesetzt auf mein Haus heißt das nichts anderes: Was ich reinkriege, darf auch rein. Es muss nur wie im WoMo systematisch ausgeklügelt eingeräumt sein.

Wie gesagt – keine neuen Wahrheiten, nichts bahnbrechendes – außer für MICH!

Eine Wahrheit ist nicht zwingend eine richtige Wahrheit, nur weil man es glaubt.

Ich kann auch Dinge, die zu kompliziert sind – weil “kompliziert” nur ein Etikett von jemandem ist, der es momentan nicht kann.

Mein Aufräum-Ausmist-Ordnungs-Trip hat endlich ein Ziel – und alles, was ich bisher dafür getan habe, war gut und richtig.

Meine Idee von voriger Woche mit der Challenge nimmt Formen an, aber dazu nächstes Mal mehr. Für heute leuchten genug Glühbirnchen über meinem Kopf. Über deinem auch? Freu mich auf dein Kommentar.

Baba

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